Nach Ende des Zweiten Weltkriegs bescheinigte man Dr. Walther Hultsch in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), dass er engen Kontakt zu den Leuten hatte, die am 20. Juli 1944 das Attentat auf Hitler ausübten. “Wo sie nur konnten, setzen Sie sich überall für Menschen ein, die durch den Nazismus zu leiden hatten, verfolgt wurden oder wegen ihrer politischen Vergangenheit geächtet waren. [...] Niemlas nahmen Sie Rücksicht auf ihre eigene Person und durch ihre antifaschistischen Handlungen waren sie in hohem Maße der Gefahr ausgesetzt, in ein KZ abgeführt zu werden.” Wie aber hat er das gemacht? Und warum kam er damit durch?
Als Leiter Spionageabwehr bei der Polizei in Sachsen wird Walther 1933 zur Geheimen Staatspolizei (Gestapo) versetzt und ist dort der Zweite Mann in Dresden. Polizist wurde er nach Ende des Ersten Weltkriegs vermutlich nur, weil er gut mit dem damaligen Polizeipräsidenten Dr. Grille bekannt war und er den Beruf als Jurist aus ethisch-moralischen Gründen nicht ausüben wollte. Unter Umständen half auch der freundschafliche Kontakt zu Kronzprinz Georg von Sachsen, der Walthers Kompaniechef im Ersten Weltkrieg war.
Wirklich durchgekommen ist er dann aber auch nicht. 1934 wurde Walther nämlich von Himmler persönlich aus dem Polizeidienst entfernt und an die Kreishauptmannschaft strafversetzt.
Heinrich Himmler war Chef der deutschen Polizei, Reichsführer SS, später auch Reichsinnenminister. Er hatte während des Zweiten Weltkriegs eine Machtposition, die nur von der Hitlers übertroffen wurde. Mit Hilfe der SS, des Sicherheitsdienstes, der Geheimen Staatspolizei und anderer Organe hatte Himmler ein System der Überwachung, der Willkür und des Terrors etabliert, mit dem die Menschen im Einflussbereich des NS-Regimes eingeschüchtert und kontrolliert, vermeintliche oder tatsächliche politische Gegner verfolgt, inhaftiert, entrechtet und ermordet wurden. Er ist einer der Hauptverantwortlichen für den Holocaust und die Ermordung von Millionen von Zivilisten und Kriegsgefangenen. Aber das kam, zeitlich gesehen, später. In einen Machtkampf verstrickt, trennte Himmler sich um 1934 von allen Personen, die ihm verdächtig waren und die nicht sofort nach seiner Pfeife tanzten. Dazu gehörte Walther.
In Walthers Aufzeichnungen findet sich ein Abschnitt, wonach er als Wehrmachtsoffizier in Riga aus eigenem Entschluss mithilfe eines lettischen Hauptmanns einen sowjetischen Fallschirmspringer aus dem Gefängnis der SS befreite und diesen bei einem Bauern in der Nähe von Riga als Hausangestellten unterbrachte. Was ein wenig unglaublich klingt, wird in der Doktorarbeit von A. Himmelsbach dargestellt und zeigt, dass dieses Vorgehen kein Einzelfall war. Sicher ist die Tatsache, dass Walther Offizier bei der Abwehr war ein Grund, dass er so handeln konnte. Denn er war der Abwehr, dem Spionagedienst im Oberkommando der Wehrmacht. Und Chef war Admiral Canaris, ein starker Mann zu dieser Zeit. Während des Krieges in Polen ließ Canaris seinen Dienst Informationen über Verbrechen der SS sammeln und informierte Wehrmachtsoffiziere über diese Vorgänge. Canaris unterwanderte Hitlers Regime, wo er nur konnte. Wenn Oppositionsmitglieder zum Kriegsdienst eingezogen wurden, holte Canaris sie in die Abwehr, wodurch sie vor der Gestapo geschützt waren. Juden machte er zu Agenten und V-Leuten und schützte sie so vor der Deportation. Einzelaktionen seiner Untergebenen, die das Regime von innen heraus sabotieren sollten, und derer gab es viele, deckte Canaris.
Seit 1934 gehörte Walther Hultsch der Widerstandsbewegung an. Deren Warnungen an England (Lord Vansittart) vor Hitler waren vergeblich. Man sagte in englischen Kreisen: „Was will uns schon der junge Mann tun? Der läuft sich selber tot, mit dem werden wir schon fertig.“ Fertig wurde man schließlich mit ihm, aber ein Meer von Blut und Tränen wurde dabei vergossen und die Wunden der beteiligten Völker sind heute noch nicht verheilt. Er pflegte Kontakte zu Dr. Goerdeler und den Generälen Olbricht, Oster, Fellgiebel und anderen, die später ermordet wurden. Dr. Goerdeler war der Kopf des zivilen Widerstands. Prinz Ernst Heinrich von Sachsen, Schloßherr von Morritzburg, empfing Goerdeler zu ausgiebigen Gesprächen im Schloss. Mit Prinz Ernst Heinrich wiederum teilte Walther sich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs das Dienstzimmer bei der Abwehr in Dresden. 1940 ist Walther im besetzten Paris. Sein Freund und Vorgesetzter Hans Meißner wird als Diplomat getarnt in Oslo und später in Paris stationiert. 1942 übernimmt Meißner die Leitung des «Büro F» in der Schweiz. Die Amerikaner beurteilen ihna einen der “effizientesten Abwehrleute”, eine 200-Seiten umfassende Akte der Britten zu ihm ist heute einsehbar. Viel war Meißner mit Canaris zusammen in Spanien.
Was aber war der Antrieb für Walther in diesem auch für ihn sehr gefährlichen und lebensbedohlichem Umfeld? Er war gläubiger Christ. Und er hatte Rückrat. Dieser Glaube muss ihm, aus heutiger Sicht betrachtet, die Kraft gegeben haben, sich in diesem Maße für andere Menschen einzusetzen. Der damals bekannte Schauspieler Paul Paulsen schrieb nach Kriegsende an Walther: “... Grade Sie sind uns in den letzten für uns so schweren zwölf Jahren ein so treuer Freund und Helfer gewesen, obwohl Sie gewusst haben, dass meine Frau Jüdin ist und in welch schwieriger Lage ich mich befunden habe. Sie sind wiederholt in der unerschrockensten Weise unter Gefährdung Ihrer eigenen Person und Stellung beim Propaganda-Ministerium und bei den hiesigen amtlichen Stellen von Partei und Staat unermüdlich unter Hinweis auf meine Mischehe für mich eingetreten. Sie haben sich für meine Frau eingesetzt, als die Verordnung über die Führung des zusätzlichen Namens für Juden herausgekommen ist. Wie oft haben Sie mit der Gesta-po telefoniert. Was Sie alles versucht haben, viel Unheil zu verhüten, was von den Nazis beabsichtigt gewesen ist. Es wird viele geben, die Ihrer in besonderer Dankbarkeit für Ihren Beistand gedenken, ganz besonders aber meine Frau und ich werden nie vergessen, was Sie uns in der schweren Zeit an Mut und Hoffnung gegeben haben und ein- und ausgegangen sind, wo andere uns längst gemieden haben. Ihnen dies heute zu sagen, ist uns ein inneres Bedürfnis, und wir wünschen Ihnen von ganzem Herzen, dass alles sich auch für Sie wieder zum Guten wenden möge.”
Mit seinem beruflichen Werdegang war für Walther das Leben im Nachkriegsdeutschland unter den Sowjets nicht einfach. Aber auch hier kamen ihm sicherlich wieder seine guten Kontakte zu Hilfe. 1946 erhielt er nämlich eine Anstellung beim Landeskirchenamt Sachsen als Baureferent. Was das Leben in der SBZ und späteren DDR nicht einfacher machte. Im Landeskirchenamt baute er aber zusammen mit vielen namhaften Denkmalpflegern, Architekten und anderen Dresdnern das Baureferat auf. Das Ausmaß der Zerstörung durch den Krieg war verheerend: 48 Kirchen lagen völlig in Schutt und Asche, 97 waren schwer und 279 leicht beschädigt. Völlig vernichtet waren außerdem 38 Pfarrhäuser und 69 sonstige Gebäude, etwa 300 Gebäude waren beschädigt. Bereits 1950 stimmte dann die zuständige Baukammer einstimmig grundsätzlich den Wiederaufbau der Frauenkirche zu. Erlebt hat Walther dieses “Wunderwerk” leider nicht mehr. 1983 starb er in Moritzburg.
Die Biografie “Der Himmel über Sachsen – Weltkriege, Widerstand, Wiederaufbau”
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